Der Blick von außen?

Der Blick von außen?

Wenn ich diese Kirche und diese Stadt sehe, dann sehe ich die Kirche, in der mir mein Abiturzeugnis überreicht wurde und die Stadt, in der ich mein letztes Schuljahr verbringen durfte. Allerdings war ich auch ungefähr 9 Jahre nicht in der Altmark ansässig. Ich sehe die Touristen, die es in meiner Kindheit gefühlt fast nicht gab und ich sehe die Einheimischen, die mit einer Selbstverständlichkeit durch die Straßen gehen, die mir abgeht. Jetzt bin ich zwar heut zutage Stendaler, aber ich kann mich noch ziemlich genau an das letzte Schuljahr erinnern. Wir Kinder vom Land fuhren jeden Tag mit dem Bus oder dem Auto nach Tangermünde, verbrachten manche Pausen beim Bäcker, fanden unsere erste Liebe in dieser Stadt. Da war eine Selbstverständlichkeit, eine Natürlichkeit, die man einem Einheimischen, der die Gegend nie verlassen hat, unmöglich beschreiben kann, weil sie erst im Kontrast wirklich deutlich wird. Ich kann es nicht anders sagen, aber ich bin zurück in meiner Heimat und fühle mich doch entwurzelt.

An dem Tag, als ich dieses Foto aufnahm, war ich mit meinem Sohn am Fluss und mir war gar nicht bewusst, dass in Tangermünde zu dieser Zeit eines der vielen kleinen Feste stattfindet. Ich schaute mir die Gäste an und fragte mich, woher die das wohl wussten, oder ob sie zufällig am selben Tag in der Stadt waren. Wie kam man eigentlich an solche Informationen? Soziale Netzwerke? Mundpropaganda? Irgendwie bin ich ja aus beidem raus. Meinen Sohn kümmerte das freilich nicht. Er wollte am liebsten den ganzen Tag Karussell fahren, dabei wollte ich mit ihm eigentlich bloß an die Flüsse, die mir in der Jugend zu ans Herz gewachsen waren. Ob er wohl seine Wurzeln hier hat? Obwohl seine beiden Eltern sich hier nicht wirklich heimisch fühlen? Zumindest ist er fast im gleichen Haus geboren worden wie ich. Kurz nach meiner Geburt Ende der 80er wurde die Frauenklinik in Stendal an der Bahnhofsstraße erweitert. Mein Sohn wurde in der Erweiterung geboren. Und obwohl er selbst noch so jung ist, existiert auch dort keine Frauenklinik mehr, denn die ist jetzt bekanntlich beim Rest des Krankenhauses angesiedelt.

Das hat mich ein bisschen an die Mauer erinnert, die einst unser Land teilte. Kurz nachdem meine Mutter geboren wurde, wurde sie fertiggestellt und kurz nachdem sie mich geboren hatte, wurde sie abgerissen. Die Mauer hat das Leben meiner Mutter geprägt und ich bin so zu sagen in der Abwesenheit dieser Mauer erzogen worden. Diese Mauer ist ein Nicht-Ort ein Schatten, den ich nie ganz greifen konnte. Was wird wohl einst das Leben meines Sohnes prägen? Der entwurzelte Vater?


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert